Wege zur dunklen Seite

Wie Sprache mit einfachen Mitteln zu einer Veränderung von Gefühl und Erleben führt.

Im Jahr 2015 kam endlich die lang ersehnte siebte Episode „Star Wars: Das Erwachen der Macht“ in die Kinos und zeigt ein weiteres Mal, dass der Weg von der guten Seite der Macht, hin zur dunklen Seite derselben, kein weiter ist. Um das zu erkennen muss man jedoch eigentlich gar nicht erst in die Kinos gehen. Man kann auch einfach die Nachrichten verfolgen, Blogs lesen oder bei einschlägigen Facebook-Seiten die Kommentarspalten durchlesen. Hier wird uns, fast als wäre es ein großes Lehrstück, vor Augen geführt, wie subtil und wie schleichend sich das sogenannte „Böse“ in die Köpfe gräbt. Geschmacksproben gefällig?

Definitionsdilemma

Seit einiger Zeit lesen und hören wir immer häufiger das Wort „Flüchtlingskrise“, gerne auch mal, vermutlich aus Gründen der Polemik, jedoch fern jeder Grammatikregel,  „Flüchtlings-Krise“ (oder sogar „Flüchtingskrise“). Dieses Wort allein besagt, dass die Krise also aus der bloßen Menge an Flüchtlingen besteht, ergo ihre Brisanz dadurch erhält, dass wir, das aufnehmende Land, irgendwie durch besagte Menge überfordert wären. Ganz ähnlich sind ja auch Wörter wie „Ölkrise“ (Mangel an Öl im Verhältnis zur Nachfrage), „Schuldenkrise“ (Missverhältnis von Schuldendienst zu Einkommen) oder „akute psychische Krise“ (Missverhältnis zwischen auf die Psyche wirkenden Eindrücken oder Konflikten zur psychischen Leistungs- und Verarbeitungsfähigkeit) zu verstehen.

Etymologisch stammt das Wort „Krise“ aus dem Griechischen (κρίνειν (krínein) = scheiden, unterscheiden, trennen) und bedeutet, laut Duden, „eine schwierige Situation, welche den Höhe- oder Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung darstellt“ (Quelle). In Verbindung mit dem Wort „Flüchtling“ dreht es sich also um eine Entwicklung, die irgendwie mit selbigen zu tun hat. Das Fugenmorphem „s“ ist hier vermutlich jedoch nicht als Genitiv zu verstehen, was bedeutete, dass nicht die Krise der Flüchtlinge gemeint ist, sondern die Krise mit den Flüchtlingen. Wir sprechen also über eine „gefährliche Entwicklung der Flüchtlingszahlen, welche ihrem Höhe- oder Wendepunkt entgegen schreitet“, woraus sich lediglich die Frage ergibt, für wen diese Entwicklung nun gefährlich sei. Dass eine Flucht aus der Heimat für den Flüchtling selbst immer eine gefährliche Entwicklung darstellt, sollte irgendwie allen klar sein. Ist die Entwicklung also für uns, das Gastgeberland, schlecht?

Lange Rede, kurzer Sinn – das Wort selbst verfehlt seinen populistischen Zweck nicht. Es vermittelt nämlich den Sinn, dass wir eine Problem mit den Flüchtlingen haben, oder haben werden. Dass die bloße Existenz der Flüchtlinge, und erst recht ihre Anzahl, für uns problematisch sei. Die allermeisten Diskussionen in Politik und Medien drehen sich dann eben auch um dieses zentrale Thema. Wie bringen wir die große Anzahl an Flüchtlingen unter? Wie ernähren wir sie? Wie bezahlen wir ihre medizinische Behandlung? Wie integrieren wir sie in unsere (ach so tolle) deutsche Kultur? Und wie, um alles in der Welt, bekommen wir sie schnell wieder raus aus Deutschland?

Die Frage, wie wir die Gründe für ihre Flucht beseitigen können und sollten, stellt jedoch kaum jemand. Ist es vielleicht, weil die Antworten uns nicht gefallen würden? Weil wir dann erkennen müssten, dass wir westlichen Länder  für die bittere Armut in weiten Teilen der Welt hauptverantwortlich sind? Weil wir sehen würden, dass unser Konsum von Ressourcen mit Blut, statt mit Geld bezahlt wird? Weil wir erkennen müssten, dass unsere Sucht nach Fleisch, High-Tech und billigen Flügen weltweit Armut, Krankheit und Konflikte fördern und begründen?

Müssten wir dann letztlich das Wort „Flüchtlingskrise“ umdeuten? Müssten wir darunter dann nicht eher verstehen, dass es die Krise der Flüchtlinge in ihren Heimatländern ist? Müssten wir dann vielleicht sogar erkennen, dass das Weltwirtschaftssystem von heute gar nicht imstande ist diese Probleme und Konflikte zu lösen, weil erst dieses System sie begründet hat, oder wenigsten massiv verschärft? Wäre es am Ende gar eine grundsätzliche Krise der Welt? Eine globale Systemkrise? Und zwar eine, die dem System immanent ist?

Die dunkle Seite der Macht verschleiert das eigentliche Problem. Sie reduziert die Probleme auf die Folgen für unseren Komfort und gaukelt uns vor, dass nicht eben dieser Komfort die Probleme maßgeblich generiert. Sie macht aus den Opfern unserer Gier und unserer Allmachtsphantasien zusätzlich Opfer unserer Revieransprüche. Sie verlangt also von den Opfern nicht nur die zweite Wange hin zuhalten, sondern sich eine dritte Wange wachsen zu lassen.

Der Generalverdacht

„Die Flüchtlinge“, „die Ausländer“ – die da – die anderen. Die, die eben nicht zu uns gehören. Die Kategorisierung von Menschen in unserer Gesellschaft kennt keine Grenzen. Und existiert erstmal eine Kategorie lassen die Stereotype nicht lange auf sich warten. Chauvinistisch, sexistisch, frauenfeindlich, gewalttätig, kriminell, hinterlistig, falsch und muslimisch, afrikanisch, dunkelhäutig fallen dann schnell, wie automatisch, in direkter inhaltlicher Verbindung.

Werden Kinder in Schwimmhallen oder Frauen vor Bahnhöfen sexuell missbraucht oder belästigt, ist dann schnell klar, dass das ein Flüchtling, oder zumindest ein halbstarker Muslim gewesen sein muss. Laufen kleine Gruppen von Farbigen durch gutbürgerliche Vorstädte ist genauso schnell klar, dass die irgendwie konspirativ und gefährlich sein müssen. Dann bilden sich Bürgerwehren, die sich gegen etwas wehren wollen. Dann werden ganze Menschenkategorien nicht mehr in Schwimmhallen gelassen. Dann wird über den Kamm geschert, dass sich selbiger biegt.

Wer nun behauptete, die Deutschen hätten aus ihrer Geschichte gelernt, der irrt gewaltig. Denn wie möchte man zum Beispiel ein Zutrittsverbot zu einer Schwimmhalle kontrollieren? Man muss sich einen Pass zeigen lassen – natürlich – geht ja nicht anders. Oder geht man einfach von der Hautfarbe aus und fordert nur von dunkelhäutigen, irgendwie „nicht deutsch“ aussehenden Menschen den Pass? Wie weit ist das noch vom Judenstern entfernt?

Und wo will man aufhören, wenn man schon die Schwimmhalle verbietet, indem man allen Flüchtlingen sexuelle Abartigkeit unterstellt? Was, wenn Flüchtlinge tatsächlich mal beim Bäcker ein Brötchen, im Lidl eine Cola mitgehen lassen? Verbietet man dann auch den Bäcker und den Supermarkt gleich für alle? Wäre doch einfacher, als jedes Vergehen einzeln zu ahnden.

Wann wird dann wieder an einem Ladenschild „Nur für Deutsche“ stehen?

Und dachte man nicht schon laut über umzäunte „Transferlager“ nach? Wie will man den Zaun eigentlich gegen Überklettern sichern? Mit Stacheldraht? In welche Richtung marschieren wir da letztlich? Welche Gedanken dürfen heute wieder laut und selbstbestimmt geäußert werden? Wo bleibt der Aufschrei der zivilen Gesellschaft? Hatten wir nicht einen juristischen Grundsatz „In dubio pro reo“, der die Präsumtion der Unschuld definiert, solange wie die Schuld bewiesen ist?

Die dunkle Seite bohrt das Erlaubte auf. Sie weitet die Grenzen des Undenkbaren, des Richtigen und des Guten. Sie setzt Verdachtsmomente gegen Einzelne als Stereotypen in unsere Gemüter und vergiftet alles Zwischenmenschliche.

Die dunkle Seite lässt uns unsere eigenen Fehler vergessen und setzt bewiesen falsches in ein neues, aktuelles Licht.

Das Erwachen der Macht?

Das Internet ist ein weiter Raum und kaum einer kann seine Ecken und Nischen überblicken. Wie sonst könnten derart unwichtige Blogs wie dieser hier Leser generieren? Dass es aber noch perverser geht, noch subtiler und noch gefährlicher zeigen folgende zwei Beispiele:

[embedyt] https://www.youtube.com/watch?v=0uEkUtohDSw&width=730[/embedyt]

Die Sprache des vorliegenden Videos, und einiger anderer des Herren, ist klar. Hier geht es um Kampf, um Krieg, um Verteidigung und um Abwehr. In anderen Videos geht es um die Rettung des deutschen Volkes. Hier wird verbal auf Krieg gebürstet – unter dem Titel „iprotest – liebevolle Revolution“. Betrachtet man die Entwicklung des Machers, so muss einem das blanke Grauen kommen, denn was als vielversprechendes Format eines engagierten, jungen Journalisten begann, mutiert nun mehr und mehr zu einem mit Stereotypen und Feindbildern agierendem, sich rassistischer und nationalistischer Worthülsen bedienendem Katastrophenkanal. Jedoch, um fair zu bleiben, mit dem Hintertürchen des Karikaturisten, dann doch nicht alles so ernst gemeint gehabt zu haben.

Joko und Klaas werden euch nicht verteidigen

Der Text, sowie viele andere Artikel des Blogs, strotzen nur so vor an Paranoia grenzender Angst. Verknüpft mit Stereotypen werden bedrohliche Zukunftsbilder gezeichnet.

Die dunkle Seite agiert subtil. Sie generiert bedrohliche Szenarien, gegen welche man sich verteidigen muss. Die gemalten Feindbilder und Risikofaktoren wirken dabei so unmenschlich groß und so unüberwindbar, dass ihre Bekämpfung bzw. Abwendung nur durch einfache Denkmuster, besondere Abwehrmittel und einem besonders groß geschriebenen „WIR FÜR UNS“  gelingen kann.

Die dunkle Seite führt uns dabei in Versuchung den eigentlichen Kern aller Errungenschaften moderner Zivilisationen mehr und mehr aufzugeben – die Freiheit, und negiert gleichzeitig den eigentlich wichtigsten Gegenstand all unserer Handlungen und Entscheidungen – die Verantwortung. Aber dazu ein andermal mehr.

Blog, Realitätsbetrachtung | 21.01.2016 | 302 Views

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